Was heißt „systemisch“?
„Die systemische Psychotherapie, die systemische Beratung und die systemische Supervision bauen auf modernen Konzepten systemtheoretischer Wissenschaft auf, die mittlerweile Eingang in alle Disziplinen der Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften gefunden haben. Sie ermöglichen es, komplexe Phänomene, die menschliches Leben und Zusammenleben charakterisieren, komplexitätsgerecht aufzufassen und eine passende Methodik zu ihrer Behandlung zu entwickeln. Nach systemischem Verständnis ist der Mensch immer zugleich als biologisches und als soziales Wesen zu betrachten.
Die systemische Perspektive rückt deshalb die dynamische Wechselwirkung zwischen den biologischen und psychischen Eigenschaften einerseits und den sozialen Bedingungen des Lebens andererseits ins Zentrum der Betrachtung, um das Individuum und seine psychischen Störungen angemessen verstehen zu können. Die systemische Therapie und Familientherapie verfügen über eine eigene klinische Theorie und Methodologie zur Erklärung und Behandlung psychischer Störungen.(….)
Grundlage für die systemische Praxis ist die Kooperation zwischen Hilfesuchendem und Helfer. Zentrales Arbeitsmittel ist der öffnende Dialog. Dem Klienten gegenüber bemüht sich der Therapeut, Berater oder Supervisor um eine Haltung des Respekts, der Unvoreingenommenheit, des Interesses und der Wertschätzung bisheriger Handlungs- und Lebensstrategien.“
Wilhelm Rotthaus, DGSF
Die drei Leitbegriffe systemischer Arbeitsweise – Neutralität, Hypothesenbildung, Zirkularität –
wurden in den 1980er Jahren vom “Mailänder Team” erarbeitet und umschreiben sowohl die Haltung der Beratenden / Therapeuten als auch die Art der Einflussnahme auf Individuen, Familien oder Gruppen.
Neutralität meint, dass die Beratenden / Therapeuten eine Haltung einnehmen, die offen für verschiedene, ggf. auch widersprüchliche Sichtweisen ist. Das bedeutet nicht, dass sie keine eigene Position hätten oder jede Sichtweise gutheißen müssten. Neutralität oder Allparteilichkeit bedeutet vielmehr, sich die Offenheit und Neugier zu erhalten, um all die verschiedenen Perspektiven des Systems kennenzulernen.
Ausgehend von der Annahme, dass Individuen oder Familien sich nicht verändern, wenn sie von außen dazu aufgefordert werden, sondern wenn sie neue Optionen erkennen und sich autonom dafür entscheiden können, besteht die Aufgabe des Beratenden darin, widersprüchliche Sichtweisen miteinander in Beziehung zu setzten, Hypothesen darüber zu entwickeln und Verhaltens- oder Kommunikationsmustern eine andere Deutung zu geben. Damit werden neue Optionen ins Spiel gebracht und festgefahrene Glaubenssätze “verflüssigt”.
Zirkularität umschreibt im Unterschied zu linearen Prozessen das Aufeinander-bezogen-sein von Verhalten. Mit der Technik des zirkulären Fragens gibt der Beratende Raum für unterschiedliche Sichtweisen auf bislang gepflegte “Familienwahrheiten”. Es werden weniger Fakten erfragt, sondern mögliche Einschätzungen und Reaktionen in Beziehung zueinander gesetzt. Entscheidend ist, dass ein “öffnender Dialog” (Rotthaus) entsteht.